Der Gegenentwurf
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Ein Bericht vom anderen Ende der Welt. Über das Leben in der Provinz auf den Philippinen.


Der Gegenentwurf


Die Straßen sind betoniert, für Asphalt wäre es zu heiß. Hier auf dem Weg vom Dorf in der Umgebung in die Kreisstadt gibt es schon auch vierspurige Straßen, zwei Fahrbahnen je Richtung. Befahrbar sind eigentlich nur die inneren Fahrbahnen. Auf den äußeren Bahnen steht immer etwas herum, es wird gebaut, auf ausgebreiteten Planen wird frisch geernteter Reis getrocknet, oder jemand, allermeistens junge Männer, warten dort mit ihrem Tricycle oder auf ihren Motorrädern sitzend, daß der Herrgott ihnen eine Eingabe bringe; passiert aber so gut, wie nie. Hin und wieder wird auch durch große Schilder von 1m x 2m darauf hingewiesen, daß die Fahrbahn hier endet und nur noch eine Bahn in diese Fahrtrichtung weiterführe. Das Schild steht quer auf der Fahrbahn und unmittelbar dahinter ist sie dann auch wirklich nicht mehr befahrbar.
Ich befinde mich in Sara, eine Kleinstadt auf den Philippinen, auf der Insel Panay in der Provinz Iloilo.
Verkehrsampeln gibt es in der 56.000 Einwohner zählenden Stadt keine. Auch Vorfahrt regelnde Verkehrszeichen sucht man vergebens. Will man von einer Straße auf eine andere abbiegen oder auffahren, fährt man zunächst einmal vorsichtig bis zur Hälfte auf die Fahrbahn und schaut, ob der Querverkehr das mitbekommen hat und womöglich einen Bogen fährt, um mir auszuweichen. Ist das der Fall, fährt man ganz auf die Straße auf und ordnet sich in den Verkehrsfluss ein. Meistens funktioniert das reibungslos.
Was man in den kleinen Städte, wie hier, ebenso vergeblich sucht, sind Wegweiser. Wer sich nicht auskennt, wird kaum in die Stadt hinein- oder von hier wieder zur nächsten Stadt hinauskommen, ohne jemanden zu fragen. Damit beginnt dann das nächste Problem.
Alle Schüler lernen zwar mehrere Jahre Englisch, das ist auch die zweite Amtssprache und alle Dokumente und Gesetze sind auf Englisch. Aber kaum jemand spricht auch tatsächlich Englisch. Hinzu kommt die asiatische Kultur, möglichst niemals „sein Gesicht zu verlieren“. Das wäre wirklich schlimm. Um also nicht „dumm dazustehen“, falls man einmal fragen sollte und der Einheimische kein Englisch versteht, geht der Filipino dem „White Guy“ möglichst unauffällig und zügig aus dem Weg. Und sollte das einmal nicht rechtzeitig funktionieren und der Einheimische wird tatsächlich vom White Guy angesprochen, dann lächelt man höflich und belässt es dabei.
Gut, das ist nicht immer der Fall. Ich habe pauschalisiert. Aber ich wette, jeder Europäer oder Nordamerikaner, Australier, der hierher kommt, wird irgendwann einmal solche Erfahrungen machen, denn es ist durchaus typisch.
Die Philippinen sind zu 95% christlich, den größten Anteil verbucht die katholische Kirche auf sich. Entsprechend viele Kirchen gibt es, die zu den Gottesdiensten auch alle sehr gut besucht sind. Wer als Europäer, als Deutscher, mit seiner Kirche hadert, wird hier eine ganz andere Erfahrung machen. Die Kirche ist immer noch eine Autorität, der man nicht widerspricht. Christliche Traditionen sind ganz selbstverständlich und werden nicht hinterfragt. Allerdings gilt der Grundsatz „am siebten Tage sollst du ruh‘n“ hier überhaupt nicht. Von Montag bis Sonntag wird gearbeitet, irgendwas. Der Durchschnittsfilipino muss froh sein, eine unterbezahlte Arbeit zu finden. Arbeitskräfte hat das Land im Überschuss; und es exportiert sie. Fast kein Handelsschiff auf den Weltmeeren, dessen Besatzung nicht überwiegend aus Filipinos bestünde. Die Ausbildung in der Kranken- und Altenpflege ist sehr gut, dauert vier Jahre und die Prüfungen haben es in sich. Entsprechend gut ausgebildet kommen Krankenschwestern, „nurses“, auf den Markt und finden im Lande selbst auch nur gering bezahlte Arbeit. Wenn wir in Deutschland einen Mangel an Pflegekräften haben, kann ich nur empfehlen, auf philippinische Fachkräfte zurückzugreifen. Die Bundesrepublik hat übrigens schon seit einiger Zeit ein Anwerbeprogramm aufgesetzt.
In meiner Kreisstadt Sara geht es munter zu. An vielen Stellen wird gebaut. Offene Werkstätten, kleine Läden, in den man scheinbar alles bekommen kann, gibt es überall. Neuester Trend hier: Stationen mit Trinkwasser für Wasserspender. Denn sauberes Trinkwasser vom kommunalen Versorger sucht man auch vergeblich. So werden Wasserspender verkauft, die das Wasser aus aufgesetzten 10L-Gallonen bekommen und entweder kühlen oder heizen.
Ärzte praktizieren in kleinen Praxen im Charme der 60er Jahre. Meistens irgendwo im zweiten Stock über irgendwelchen Läden oder Werkstätten. Man sollte genug Geld mitbringen. Jede Behandlung wird in bar vor Ort abgerechnet. Wer einen Notarzt braucht, oder einfach schnell behandelt werden will, muss in das kleine Kreiskrankenhaus fahren, das etwas am Stadtrand gelegen ist.
Filipinos denken die meiste Zeit des Tages über essen nach. Entsprechend viele Gelegenheiten gibt es, irgend etwas Essbares zu kaufen. Von Backwaren, über Pizza und ähnliches zu Suppenküchen und einfachen Restaurants. Allerdings ist für den Filipino ein Essen ohne Reis eigentlich kein richtiges Essen.
Bis hier ist schon für den etwas dekadenten und verwöhnten Westeuropäer erkennbar, dass das Leben hier etwas anders verläuft, als bei uns. Man könnte es einen Gegenentwurf zu dem nennen, was wir uns erarbeitet haben. Mein Ziel habe ich hier allerdings noch nicht erreicht. Es liegt in einem der 42 Dörfer, die zur Kommune gehören, die sogenannten Baranggays. Darüber schreibe ich im nächsten Report etwas ausführlicher.




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