Doppelter Verbrauch - halbe Leistung
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Oldtimer erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Im Saarland gibt es immer höhere Zulassungszahlen.

Doppelter Verbrauch - halbe Leistung


„Warum ich Oldtimer fahre?“ Die Frage beantwortet der 60-Jährige lapidar mit „Weil mir die Freude am Fahren abhanden gekommen war.“ So weist er darauf hin, dass sein einziges, bislang als Neuwagen gekauftes Auto „passend“ zum Ablauf der Zweijahres-Garantie einen Getriebeschaden hatte, „der allerdings kulant vom Hersteller reguliert wurde“. Als dann aber innerhalb kürzester Zeit zwei Ventilschäden sein damals gefahrenes Cabrio aus dem Verkehr zogen, so der Buchhalter, „stellte sich mir die Frage, ob ich nicht mit einem alten, eingefahren Auto besser bedient bin, als mit einem Neuwagen mit allem Schnick-Schnack.“

Vor einem Jahr kaufte sich der Buchhalter, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte, einen Mercedes 230. „Dabei hielt ich mich nie für einen Mercedes-Typen mit dem für mich etwas behäbigen, spießigen Image eines ‚Mit-Hut-Fahrers’.“ Simca, Peugeot, und Ford waren unter anderem die Autos, mit denen der Saarländer in den 70er und 80er Jahren seine Mobilität startete. „Ich mag die klaren, kantigen Linien“, sagt der auf eindeutige Zahlen fixierte Buchhalter und so landete er nach einem Rocky-Geländewagen von Daihatsu bei dem Vierkantmodell schlechthin, einen Volvo 740.

Seine Gebrauchtwagen fuhr der rechnende Buchhalter zwei bis drei Jahre: „Die großen Autos waren billiger als Neuwagen und ich verkaufte sie wieder vor den großen Reparaturen. Dann gab’s jeweils ein neues altes Fahrzeug.“ 2008 wollte er dann „endlich einmal ein funkelnagelneues Auto mit allem neuzeitlichen Komfort“, den er auch schätzte. „Zwei Jahre fuhr das Auto einwandfrei, dann begannen die Reparaturen. Das hätte ich auch mit einem alten Auto haben können“, stellte der studierte Betriebswirt fest. Und so entschied er, sich verärgert von dem Neuwagen zu trennen. Allerdings musste der Saarländer feststellen, dass es inzwischen auf dem Gebrauchtwagenmarkt fast nur noch aerodynamisch durchgestylte Autos mit den von ihm ungeliebten Rundformen zu den von ihm akzeptierten Preisen gab.

Auf der Suche nach einem neuen fahrbaren Untersatz fand der 59-Jährige vor einem Jahr in der Tageszeitung unter der beiläufig gesichteten Rubrik „Oldtimer“ einen Mercedes aus 1971, „taxi-farben“, gemäß Anzeige in „gutem Zustand“. 6.500 Euro sollte das Auto kosten, „aufs Kilo Blech gesehen ein akzeptabler Preis“ dachte sich der Buchhalter, der auch immer – schon aus Sicherheitsgründen – große ältere Autos gefahren hatte, weil sie den bei Kleinwagen mit Zusatzkosten zu Buche schlagenden Komfort wie Sitzheizung oder elektrische Fensterheber besaßen.

In Kirkel verliebte er sich sofort in den Mercedes, „ein riesiges Schiff“ mit den heute so seltenen klaren Linien. „Mit dem meinem ,kantigen’ Geschmack entgegen kommenden Design war ich mehr als zufrieden.“ Für den kostenbewussten Buchhalter sollte sich das „neue“ Auto auch wieder gut verkaufen lassen.
 
Oldtimer erfreuen sich zunehmender Beliebtheit: Sie bieten zwar nicht den Komfort heutiger Autos, aber dafür haben sie Stil. Wer nicht ein im Windkanal durchgestyltes Fahrzeug will kann nur mit einem Oldtimer zufrieden sein. Zu den beliebtesten Oldtimern gehört – nach Bild-Recherche - mit 26.857 Zulassungen (2011) der VW Käfer und dabei vor allem das alte Cabriolet. Auf Platz 2 steht mit dem Mercedes SL-Cabrio aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ein weiteres Sommer-Auto. Auf den dritten Platz kommt der Mercedes 230/8 mit bundesweit 6.821 Zulassungen im Jahr 2011. Die Bild-Zeitung rechnet für dieses Fahrzeug mit einer jährlichen Wertsteigerung von 1,4 Prozent. Zwei Millionen Autos dieses Modells baute Mercedes zwischen 1967 und 1976.

Die zeitlose Karosserieform mit einer klaren Linienführung macht den Sechs-Zylinder des 1971 gebauten Mercedes der Baureihe W 114 zu einem Klassiker, auch wenn der Innenraum eher schlichte Eleganz verkörpert. So wurde seinerzeit als „Extra“ unter anderem der Teppichboden auf der Hutablage angepriesen. Bei diesem „fahrenden Wohnzimmer“ blieb allerdings der Beschleunigungsfaktor auf der Strecke. Der Motor des 120 PS-Wagens gilt als sehr zuverlässig. In dem dahingleitenden Wagen strahlt der Fahrer Seriosität aus. Mit Preisen zwischen 2.900 und 9.500 Euro – je nach Zustand – ist der Mercedes 230 kein Luxus-Oldie, sondern für jedermann erschwinglich. Die immer wieder in Automobilzeitschriften vorgestellten hochpreisigen Oldtimer – beispielsweise Ferrari und sehr alte Rolls Royce – verfälschen das Bild des Oldtimermarktes.

Ein Rolls Royce Silver Shadow der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts ist in gutem Zustand schon für 16.800 Euro zu bekommen. Ein Opel Rekord aus dem Jahr 1953 kostet – im Internet angeboten – lediglich 7.900 Euro. Oldtimer haben keine der heute üblichen Sicherheitsausstattungen, weder Zentralverriegelung noch elektrische Fensterheber noch Sitzheizung. Trotzdem werden immer wieder alte Autos – auch für den Alltag – gekauft.

Als Zweitwagen besorgte sich der auf Sicherheit und Schadenfreiheit für seinen Oldie bedachte Buchhalter für den Winter einen so genannten Youngtimer, einen Opel Corsa A aus dem Jahre 1987. Youngtimer sind Autos, die älter als 20 Jahre, aber noch keine 30 Jahre gefahren sind. Diesen Winter mit seinem vielen Schnee sollte der Mercedes in der Garage verbringen. 

In seinem neuen Wagen fühlte sich der Buchhalter anfangs etwas unsicher: Abgesehen von fehlenden Airbags – es gab gerade einmal Sicherheitsgurte – fehlten die Nackenstützen und ein Außenspiegel rechts. Der linke Außenspiegel war mehr als klein. „Ich fuhr langsam, nur rechte Spur, eben wie ein ‚Opa mit Hut’ im Mercedes“, stellt der 60-Jährige leicht schmunzelnd im Nachhinein fest. „Dafür gibt einem das Bakelit-Lenkrad mit Blick auf den Mercedes-Stern das Gefühl, etwas Besonderes zu fahren.“ Gewohnheitsbedürftig war dem Neu-Oldie auch die Fahrzeuglänge von fast 4,70 Meter, was ihn Kurven weit ausholen ließ. „Ein Ärgernis war, dass ich mit 1,80 Meter Breite nicht mehr ohne ein Hin-und-Her-Rangieren um die Kurven im Parkhaus der Sparkasse Saarbrücken kam, wo ich früher immer gern ein Auto abgestellt habe.“

Der Mercedes 230 gehörte als seinerzeit der Oberklasse zugehöriger Wagen zunächst einem Zahnarzt, der ihn nach Verkäufer-Aussage wahrscheinlich nur zwischen Wohnung und Praxis gefahren hat. Nach dessen Tod übernahm dann offensichtlich seine 69-jährige Frau das Auto für eine weitere 14-jährige Nutzung. Ein Italiener besaß den unter Kennern einfach nur als „Strich 8“ bezeichneten, weil erstmals 1968 gebauten Wagen gerade vier Wochen, bevor er ihn an eine Verwandte des Verkäufers weitergab. Acht Jahre fuhr das inzwischen 25 Jahre alte Fahrzeug durch den Bliesgau. 2001 erreichte der Mercedes nach 30 Jahren den Oldie-Status, worauf er – längere Zeit aufgebockt, zerlegt und neu verschweißt sowie pergamentbeige in der früheren Taxi-Farbe lackiert wurde. Mit einem TÜV-Gutachten wurde zur Registrierung für ein H-Kennzeichen 2003 bestätigt, dass der Wagen mit dem Original identisch ist. Damit war der alte Mercedes ein kraftfahrttechnisches Kulturgut.

Mit der TÜV-Feststellung „guter Erhaltungs- und Pflegezustand“ sollte dem Auto die Alltagstauglichkeit nicht fehlen. Ein Kontrollbesuch in einer Mercedes-Werkstatt bestätigte dem neuen Eigentümer, dass der 71er „Strich 8“ in gutem Zustand ist. Dennoch ist der alte Wagen „Luxus“, denn bei einem doppelt so hohen Benzinverbrauch wie bei einem Neuwagen fährt er mit einer Tankfüllung nur halb so weit wie ein Neuwagen. Dazu braucht der alte Mercedes hochwertiges Superbenzin (98 Oktan) und für jeweils 25 Liter Sprit einen Bleizusatz, damit der Motor des beim Kauf 3.032 Kilometer ausweisenden Autos noch lange durchhält. Zwar ist kaum glaubhaft, dass der 41 Jahre alte Wagen tatsächlich nur etwas über 100.000 Kilometer gefahren ist – das entspräche einer Jahresleistung von knapp 2.500 Kilometern -, aber was will man bei einer lediglich fünfstelligen Anzeige beweisen?

„Was ich in dem alten Auto vermisse?“ Darauf antwortet der Buchhalter: „Den Piepston, wenn man beim Aussteigen vergisst, das Licht auszuschalten. Schon einige Male mussten mir Bekannte Starthilfe geben, weil die Batterie leer war.“ Und auch die rote, an eine Couch erinnernde viel zu weiche Polsterung war gewöhnungsbedürftig. Der inzwischen zum Oldie-Fan mutierte Gebrauchtwagenfahrer weiß jetzt auch, wieso neue Autos eine Intervallschaltung beim Scheibenwischer haben: „Irgendeinen Ingenieur muss es genervt haben, dass er bei leichtem Nieselregen ‚Scheibenwischer an, Scheibenwischer aus’ betätigen musste. 

Nach einem Jahr ist der Buchhalter zufrieden mit seinem letzten Fahrzeug-Erwerb: „Hinterm Stern fährt man gern“, sagt der nie mehr ohne Hut unterwegs befindliche Senior. „Wahrscheinlich ist es eine Alterserscheinung, dass ich jetzt Mercedes fahre – und stolz darauf bin! Man wird mit zunehmendem Alter ruhiger und außerdem ist man mit einem Oldie sorgfältiger unterwegs als mit einem sportlichen Cabrio oder alten Gebrauchtwagen.“ Außerdem, das konnte der Mercedes-Fahrer feststellen, sind andere Autofahrer bei etwaigen Fahrfehlern freundlich: „Eben ein Mercedes-Opa mit Hut …“             



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