Flitterwochen in einem besetzten Haus in Groningen.

Als wir heirateten am 31.12.1974

Flitterwochen in einem besetzten Haus in Groningen.

Kommt das sehen, kommt das sehen, stand auf den Einladungen zu unserer Hochzeit. Es schien eine Ankündigung für eine Zirkusvorstellung zu sein. Keine Ahnung, wie wir darauf gekommen sind, aber wir fanden es beide einen guten Witz. Unser Hochzeitstag fand am letzten Tag des Jahres statt. Noch so ne gute Idee. Würde es etwas damit zu tun haben, dass meine älteste Tochter uns nie so ernst genommen hat? Schließlich war sie schon überall dabei, obwohl sie noch in meinem flachen Bauch herumschaukelte.

Wir hatten einen Stadtbus gemietet, denn die ganze Indo-Familie kam und ging mit zum Rathaus. Und sie kamen in großer Zahl. Adu nou, gemütliche und warmherzige Menschen sind es. Ich liebe sie. Und sie alle  mussten zuerst von Hilversum nach Utrecht, dann zum Rathaus von Amersfoort und wieder zurück nach Hilversum gebracht werden. Ein Stadtbus war also eine gute Idee. Aber im Moment das der Bus ankam in Hilversum, war mein zukünftiger Mann noch unterwegs um Feuerwerk zu kaufen. Und er hatte auch ganz schwarze Hände. Nicht, weil er als Indo so dunkel war, sondern weil er seinem Vater einen Tag vor dem großen Ereignis noch die Haare färben musste. Nicht umsonst war er Friseur, aber er hatte schwarze Farbe benutzt ohne Handschuhe. Doch letztendlich kam alles noch in Ordnung und der Bus startete in die richtige Richtung. Die Familie hatte schnell, auf den beiden Vordersitzen im Bus, einige Girlanden aufgehängt. Der Fahrer wusste nicht, dass er für eine Hochzeitsfeier fahren musste. Er entschuldigte sich dafür, dass er mit einem ungeschmückten Bus aufgetaucht war. Jetzt lebte ich in einem Teil von Utrecht, wo die Straßen teilweise Einbahnstraßen waren. Ein Freund der Familie wartete draußen auf die Gesellschaft, um die Dinge ordentlich zu regeln und alles reibungslos verlaufen zu lassen. In dem Moment, als der Bus gegen die Richtung in der Straße fuhr, riefen eine Gruppe von Utrechtse Strassenjungs: 'Hey, seht mal Jungs, ein ganzer Bus voller Chinesen!'  Unser arrangierender Freund, hatte das schnell erledigt. Er gab ihnen allen einen Gulden, mit der Botschaft, dass sie sich verpissen sollten, um ein Eis zu kaufen, was sie dann auch taten. Nach vielen Manövern hielt der Bus schließlich ordentlich vor der Haustür. Mein Zukünftiger kam die Treppe hinauf, mit einem riesigen Grinsen im Gesicht und einem Brautstrauß, bestehend aus orangefarbenen Rosen in seinen schwarzen Händen. Die Rosen passten perfekt zu meinem grün geflammten Hippiekleid und dem schwarzen Filzhut. Der kurze, schwarze Kunstpelzmantel und meinen schwarzen Schuhen mit Plateausohle,machte mein Outfit komplett. Die Korsage, die zu meinem Brautstrauß gehörte, setzte ich auf meinen Hut. Meine Familie schloss sich dem indischen Gesellschaft an. Sie wirkten ein wenig blass, fand ich.

Für meine schwarzen Schuhe mit Plateausohlen, bin ich zusammen mit meine Busenfreundin Stadt und Land abgelaufen. Wir sind deswegen sogar nach Amsterdam gefahren. In Utrecht wurden uns überall in den Schuhgeschäften eine Art von alte-Oma-Filzpantoffeln angeboten, als wir nach Schuhen mit Plateausohle fragten. Wir haben an diesem Tag so gelacht zusammen.  Aber nach viel Laufen, Suchen und Lachen hatten wir sie dann doch gefunden. Schuhen mit Plateausohle waren gerade total in.  Als mein zukünftiger Mann das hörte, ging er auch auf die Suche. Wir waren nämlich gleich groß und er dachte nicht, dass es angemessen wäre, wenn ich mich an unserem Hochzeitstag von ihm abheben würde. Unter seinem schwarzen Samtanzug trug er dann auch ein Paar graue Stiefel mit Plateausohle.

Nun, da gingen wir, auf dem Weg zum Rathaus. Als wir die ganze Zeremonie hinter uns hatten, wurde dann in einem Hilversumer Gasthaus gemeinsam gegessen, getrunken und gefeiert. Aber die Party war noch lange nicht vorbei. Alle, für mich neuen Familienmitglieder, die mir an diesem Tag auf einmal vorgestellt wurden, und es gab einige von ihnen, von Onkel Nono bis Tante Non und alles was es dazwischen geben kann an Indos, adu nou, so gemütlich, alle zusammen noch einmal essen bei Opa und Oma zu Hause. Indisches Essen für fast hundert Menschen. Im Wohnzimmer, im Flur, auf der Treppe, von der Küche bis zum Dachboden, überall schlemmende Indos mit ein Teller auf dem Schoß. Adu nou, so gemütlich. Nur mein Mann und ich hatten keine Ahnung, wo wir übernachten würden. Das Haus meiner frischen Schwiegereltern war absolut voll. Da kam das Angebot der netten Nachbarn. Wir durften unsere Hochzeitsnacht in ihrem Schlafzimmer verbringen. Sie schliefen eine Nacht auf dem Dachboden, auf den Luftmatratzen. Das fand ich echt total lieb. Und wir haben sogar morgens Frühstück im Bett bekommen. Komplett mit hart gekochtem Ei und allem drum und dran. Das war eine unvergessliche Erfahrung. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen würde und wartete die Ereignisse einfach ab.

Mein Mann sagte mir am nächsten Tag, dass wir nach Groningen fahren würden. Ok, dachte ich, auf geht es nach Groningen. Dort lebte mein Cousin, zugleich der beste Freund meines Mannes. So lernten wir uns überhaupt kennen. Eines Tages besuchte ich meine Tante und fand meinen Cousin im Keller, zusammen mit seinem besten Freund. Ihr Hobby war eine Drive in Diskothek, und sie bastelten fleissig an ein paar Musikboxen herum. Aber jetzt war mein Cousin Disjockey in einer großen Disco in Groningen. Ich fand es eine gute Idee und freute mich schon darauf mal wieder gemütlich auszugehen. Als wir in Groningen ankamen, schien mein Cousin zusammen mit einem guten Freund in einem besetzten Haus zu wohnen. Es war ein geräumiges Haus. Sein Freund wohnte im ersten Stock und mein Cousin oben drüber. Die Toilette befand sich auf dem Balkon und das war alles etwas abenteuerlich.  Ich durfte mich zum Beispiel nicht am Balkongeländer festhalten, denn dann könnte ich herunterfallen.  Und auch die Spülung war absolut verboten, denn dann landete die gesamte Ladung im Flur bei den Nachbarn im Erdgeschoss, und das wollte ich natürlich nicht unbedingt verursachen. Nun, das war kein so großes Problem, denn wir waren praktisch nur zum schlafen da.

Der erste Abend in der Disco, in der mein Cousin arbeitete, fing schon gut an. Ich saß, frisch verheiratet und hübsch in meinem Hochzeitskleid an der Bar, neben einem stolzen, frisch gebackenen Ehemann. Ich hatte mir bewusst ein Kleid gekauft, in dem ich auch anderswo auftreten konnte. Neben meinem Mann saß ein Araber. Nach einer Weile ging ich ahnungslos auf die Toilette. Als ich zurückkam, waren die Verhandlungen schon im Gange. Der Araber wollte mich kaufen. Nun ja, dachte ich mir. Ich bin frisch verheiratet mein Herr, immer mit der Ruhe. Ich erinnere mich nicht, wie viele Kamele er für mich übrig gehabt hätte, aber anscheinend waren es nicht genug. Der Abend ging weiter, war gemütlich und ziemlich feucht. Gegen vier Uhr waren wir beide so voll, dass wir dachten, es wäre besser, heimzugehen. Mein Cousin wollte noch mit seinen Kollegen etwas trinken nach der Arbeit. Wir waren ziemlich schnell zu Hause, trotz unseres beschwipsten Zustandes. Ja, ich weiß, es ist nicht sehr vernünftig, sich zu betrinken, wenn man ein Baby im Bauch hat, aber damals habe ich noch angenommen, man heiratet nur einmal in im Leben. Außerdem war ich gerade zwanzig Jahre alt geworden und damals noch überhaupt nicht vernünftig.

Wir waren gut nach Hause gekommen. Das Problem war nur, wir bekamen die Haustür nicht auf. Mein Cousin hatte uns den Schlüssel gegeben und mir erklärt, dass wir den Schlüssel gegen die Richtung drehen mussten, wenn wir die Tür öffnen wollten.  Anscheinend hatten wir das unterwegs vergessen, also gingen wir wieder zur Disco zurück, nachdem ich meinen Mann davon überzeugen konnte, dass es keine so gute Idee war, die Außenwand zu erklimmen weil die Tür nicht aufging.  Ich behauptete, dass es schade wäre von seinen schönen schwarzen Samt-Hochzeitsanzug, aber in Wirklichkeit dachte ich natürlich: 'Junge, du fällst mit deinem besoffenen Kopf runter und brichst dir das Genick.'  Aber das sagst man nicht, wenn man gerade verheiratet ist. Mein Cousin lachte uns aus, als wir ihm erklärten, dass die Tür für uns geschlossen blieb, egal was wir versuchten. Er lachte und erklärte uns kichernd noch einmal ausführlich, was mit dem Schlüssel zu tun sei. Mit gutem Mut machten wir uns wieder auf dem Weg.

Wir kamen an einer Caféteria vorbei und dann ging es schief. Mein Mann kam auf die Idee, ein Brötchen mit Lachs essen zu wollen. Lachs mit Mayonnaise, auch das noch. Natürlich habe ich versucht es zu vermeiden, aber es war vergeblich. Er musste und sollte. Der Lachs fing wahrscheinlich unterwegs schon an zu schwimmen, denn der Herr lag kaum im Bett, oder das ganze Elend kam heraus. Das ganze Nest voll, bitteschön, dankeschön. Ich reagierte blitzschnell. Ich rollte ihn, wie ein Patient, von einer Seite zur anderen, während ich die Laken unter ihm herauszog. Ich rollte das ganze Chaos ineinander und warf es auf den Küchenboden, direkt neben der alten, so eine aus den fünfziger Jahren, Waschmaschine. Also Junge, dachte ich, du weißt, was du morgen zu tun hast. Ich ging wieder nach oben in der Hoffnung, dass er sich nicht noch einmal ausgekotzt hatte. Aber nein, alles war ruhig und trocken. Jetzt mussten wir auf der nackten Matratze schlafen, denn ich hatte keine Ahnung, ob und wo mein Cousin noch mehr Bettwäsche hatte, außerdem war er noch nicht zu Hause. Zum Glück wurde die Decke verschont, weil es war eisig kalt. Aber ich vertraute der Sache nicht ganz, also bekam mein brandneuer Bräutigam. sicherheitshalber einen leeren Eimer über den Kopf gestülpt. So, sicher is sicher, ich hatte keine Lust auf eine Wiederholung. Er bekam den Griff hinter die Ohren und ich wünschte ihm eine gute Nacht. Er kam sich dumm vor und fühlte sich schuldig, also fing er an sich zu entschuldigen und fragte, ob ich wütend auf ihn sei. Seine Stimme klang lustig hohl aus seinem leeren Eimer. Ich versicherte ihm, dass ich wirklich nicht wütend auf ihn sei. Wieso denn auch? Schließlich war er derjenige, der das Chaos morgen wieder in Ordnung bringen musste. Und das ist nicht einfach, wenn es die ganze Nacht eingetrocknet ist. Er war auch derjenige, der mit einem Eimer auf dem Kopf schlafen musste. Dann konnte ich nicht auch noch wütend auf ihn sein. Er hatte es schon schwer genug. Als er am nächsten Morgen aufstand und die schmutzigen Laken sah, fragte er mit einem unschuldigen Gesicht: 'Was ist denn das?' 'Das, lieber Schatz, ist das Ergebnis deines Lachsbrötchens gestern Abend.' Er betrachtete es mit Entsetzen, und ich wünschte ihm viel Spaß dabei.

Damals hatte ich noch keine Ahnung, dass ich dreißig Jahre später selber in einem besetzten Gebäude wohnen würde. Ein Bankgebäude in Brabant, 840 Quadratmeter, inmitten der Innenstadt, zusammen mit meinem damals siebzehnjährigen Sohn. Aber das ist eine andere Geschichte.




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