Schon mal im Großraumbüro gearbeitet?
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Eine anstrengende Zeit

Schon mal im Großraumbüro gearbeitet?

Bis zur "freiwilligen" Kündigung


Zu meinem Verdruss musste ich die Atmosphäre eines Großraumbüros mehrere Jahre erdulden. Die meisten Menschen stöhnten schon bei der Vorstellung auf, wenn ich davon erzählte an solch einem Arbeitsplatz mein Geld zu verdienen. Es war so wie ihre Vorstellung, oder eher noch schlimmer!

Mehrere hundert Kollegen* (Vorgesetzte mit eigenem Büro bleiben hier unerwähnt) teilten sich eine riesige ehemalige Lagerhalle, die man büromäßig einrichtete. Teppichboden, Sonnenschutz, Bürotische, -regale, -Stühle - alles vorhanden. Das Equipment eines Büros ist den meisten bekannt und bedarf hier keiner weiteren Ausführungen. Grob betrachtet, fehlte es an nichts, außer an Wänden.

Der Morgen startete in der Regel wie jeden Tag. Einige Kollegen* ließen es sich nicht nehmen, während ihres Marsches durch die ehemalige Halle, jeden freundlich zu begrüßen. Andere beschränkten sich auf den direkten Nachbarkollegen* oder ließen auch dies ganz. Alles völlig in Ordnung, schließlich kam ein Freundlicher auf etliche „Guten Morgen“, je nach Sitzplatz. In den Mittagszeiten war ein „Mahlzeit“ gängig und zu späterer Stunde folgte der Feierabendgruß. Einschließlich der entsprechenden Erwiderung der Angesprochenen, könnte man mit der Schachbrettaufgabe die Grußanzahl und -varianten pro Tag berechnen.

Die verschiedenen Abteilungen wurden durch Blumenkübel mit echten oder künstlichen Pflanzen separiert. Ordnerregale so hoch, dass sie im Sitzen Schutz vor Blicken schenkten, dienten geschickt als fehlende Wände. Die Schreibtische standen sich in Vierergruppen gegenüber. Ein Trost, die gegenüberliegenden Tische wurden durch anderthalb Meter hohe Schallschutzwände getrennt. Für ein stilles Arbeiten ohne Drucker, Kopierer, Telefon oder Kollegen*, waren die schallschluckenden Wände durchaus ausgelegt.

Die Großraumbüroatmosphäre erinnerte viele Kollegen* meistens an einen Fußballplatz oder eine überfüllte Kneipe. Orte, wo gegen weite Entfernungen oder eine gewisse Lautstärke mit der Stimme angekämpft werden muss. Statt sich moderner Hilfsmittel wie einem Telefon zu bedienen, brüllten sie gerne in die übernächste Abteilung, wenn es von Nöten war. Dabei formten einige mit ihren Händen einen Ruftrichter, um das Gerufene in die weite Ferne besser zu übertragen.



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Kollegen*, die vielleicht ernsthaft mit Kunden* telefonierten, mussten ihre Stimme noch darüber hinweg erheben. Vielen Kollegen* war bekannt, dass im Stehen bessere Ergebnisse in Bezug auf Stimmvolumen erreicht werden. Da die Schallschutzwände nur den leisen Schall in Sitzhöhe schluckten, waren die Wände somit machtlos.

Witzigerweise hatten diese Trennwände auf einige eine ähnliche Wirkung, wie schützende Hände vor Kinderaugen. Erzeugte Laute durch Niesen, Husten, Sprechen, Bäuerchen, Schmatzen, Bonbons oder Möhren knacksen fanden vor Sicht geschützt - jedoch vor den Ohren anderer ungeschützt - statt.

In der kalten Jahreszeit, wenn es draußen früh dunkel war und die Innenbeleuchtung aus den Fenstern Spiegel machte, wurde das gerne Ungesehene auf der Scheibe sichtbar. Sinnvoll war es, sich nicht von der Arbeit ablenken zu lassen und den Monitor als Augenoase zu nutzen. Menschen, die sich unbeobachtet fühlen, machen nämlich manchmal merkwürdige Sachen. Appetitmindernde Sachen, die dem ungewollten Beobachter auch helfen könnten, eine Diät durchzuhalten.

Was sich vielleicht lustig liest, ist das Ergebnis großer Verzweiflung, bis hin zur eigenen Kündigung. Man sagt ja auch, je verzweifelter, desto schräger der Humor.

Von einer Abteilung mit ca. fünfzig Mitarbeitern* sind innerhalb von zwei Jahren sechs Kollegen* psychisch erkrankt, mit Ausfallzeiten von ein bis zwei Jahren. Sicherlich gibt es noch mehr Erkrankungen, die ihre Ursache in der Psyche hatten, sich aber nach außen anders zeigten. Egal, ob es noch mehr Erkrankungen gab. Sechs von fünfzig sind schon viel zu viel.

Es gibt hinreichende Untersuchungen, die belegen, wie schädlich diese Büroform ist. Der Nutzen des Arbeitgebers* in Bezug auf bessere Kommunikation, kürzere Wege, Teambuilding etc. scheint immer noch größer zu sein, als der finanzielle Verlust durch die Krankenstände.

Wenn Arbeitgeber* nicht erreichbar sind, diese für viele unangenehme Arbeitsplatzform zu ändern, sollten wenigstens die Kollegen* untereinander rücksichtsvoller miteinander umgehen. Das hätte ich mir zu meiner Zeit gewünscht und wünsche es nun allen, die betroffen sind.
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*genderneutral
 



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