'Tante-Emma' der neuen Zeit - Ein paar unbequeme Gedanken
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Essay über Lebensmittel, Müll und eine Zukunft dessen.


Kurzer Rückblick


Es ist eigentlich noch nicht wirklich lange her. Die Zeit, als der erste Supermarkt in den Stadtteil kam. In meiner Kindheit gab es nur Fachgeschäfte, winzige Edeka-Filialen und den 'Tante-Emma-Laden', wo Lebensmittel eingekauft wurden. Eben nur das, was der hauseigene Garten nicht liefern konnte.
Der Laden war winzig und doch gab es einzelne Abteilungen, in denen man alles fand, was man so brauchte. Kann sich das noch jemand vorstellen bei den großen Einkaufszentren heutzutage?
Damals, als der erste Supermarkt gebaut wurde, konnte sich auch keiner einen Supermarkt vorstellen. Es wurde in meiner Schulklasse sogar Thema eines Aufsatzes. Die Vor- und Nachteile eines Tante-Emma-Ladens. Das war noch vor dem Gymnasium, aber es beschäftigte alle im Dorf und Umgebung.

Ein 'Glaspalast' auf der Weide


Zunächst verschwand eine Weide mit Heidschnucken. Dann entstand dort ein Parkplatz, dann das für damalige Verhältnisse riesige Verkaufsgebäude mit ungeheuren Glasflächen und vielen Einkaufswagen.
Anfangs war der Supermarkt wenig besucht. Und an der Wursttheke hielt man mit der Verkäuferin genauso sein Schwätzchen wie im Tante-Emma-Laden. Aber das änderte sich mit der Zeit. Und als der Besitzer des Tante-Emma-Ladens in Rente ging, war die Ära Tante-Emma endgültig vorbei.

Masse statt Klasse


Aber ist das so? Dazu ein paar frische Gedanken aus der Neuzeit. Erst letzte Woche hörte ich in den Nachrichten, das alle Lebensmittel, die in Deutschland an einem Tag produziert werden, statistisch gesehen in dem Müll landen.

Obwohl man Nachrichten heutzutage immer mit einer gesunden Skepsis hinterfragen sollte, kann ich auf Grund eigener Berufserfahrungen dieser Nachricht einigen glauben schenken, denn sowohl die Gesetzeslage als auch die Kundenerwartungen an Lebensmittel sorgen für Massen an 'Müll' jeden Tag, seit Jahrzehnten.

Der Kunde ist König


Aber wie sind denn die Kundenerwartungen? Obst und Gemüse soll perfekt aussehen. Und jeder soll zu jeder Zeit alles in der gleichen Zeit einkaufen können? Ansonsten herrscht Unfrieden. Märkte wollen zufriedene Kunden. Also wird optimiert. Klingt wie eine Utopie. Aber schauen wir uns mal in den Supermärkten um.

Beleuchtung und Uniformität


Was verloren gegangen ist bei diesen hohen Ansprüchen, ist Qualität. Um eine gute und vielfältige Optik zu erreichen, sind Geschmack, Vitamine und viele weitere Inhaltsstoffe verloren gegangen. Gemüse sieht zwar noch wie Gemüse aus, es schmeckt aber immer seltener danach.

Markt und Supermarkt


In manchen Städten Städten gibt es etwas, das sich hoffentlich nicht so schnell ändern wird. Den Wochenmarkt, auf den Bauern, Landwirte und Erzeuger aus der Umgebung ihre Produkte anbieten. Da weiß man, was man kauft und das schmeckt auch so. Kann ich eine Erdbeere nicht im Garten pflücken, dann kann ich sie dort kaufen und sie schmeckt nach Erdbeere und sieht nicht nur so aus.

'Tante-Emma' der neuen Zeit


Und dann schweben mir da seit einiger Zeit ganz verwerfliche Gedanken durch den Kopf, warum ich den Anfang so ausgedehnt habe. In vielen ländlichen Gegenden gibt es keine Einkaufsmöglichkeiten mehr aber zunehmend ältere Leute. Die Versorgung ist problematisch. Außerdem wabert seit einigen Jahren durch Funk, Film und Internet das Phänomen 'Hofladen'. Auch in die Diskussionen um die Versorgung in ländlichen Dörfern hat dieses Konzept mit mehr oder weniger Erfolg Einzug gehalten.

Mir kommt da der verwerfliche Gedanke an den alten Tante-Emma-Laden. Haben wir denn gar nichts gelernt? Ist das Konzept 'Supermarkt' eine Lüge, die sich irgendwann selbst überholt?

Ich sehe das anders. Ohne den Supermarkt wäre das Bewusstsein für 'Bio' nicht entstanden. Natürlich gab es zu Tante Emmas Zeiten eigentlich sehr viel Bio, aber das Bewusstsein, wie wertvoll das Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten ist, wie gesund das Fleisch vom Tier aus der Umgebung, das Brot vom Bäcker aus der Nachbarschaft ist, das gab es nicht.

Die heutigen Bioläden, nachhaltigen Geschäfte, Hofläden, sie kennen diesen Wert und darum sind sie weit mehr als Tante-Emma-Läden der neuen Zeit. Und hoffentlich halten sie mit ihren modernen Konzepten immer mehr Einzug in viele Gebiete.



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