Wiederentdeckung eines Hochtalents - Zum Werk des Bildhauers Emil Rasmus Jensen

Emil Rasmus Jensen war kleinwüchsig. Das hinderte ihn aber nicht an einer großen Karriere als Bildhauer. Jetzt wird sein Werk wiederentdeckt und erschlossen.



Der Kunsthistoriker Prof. Heinz Spielmann hat den faszinierenden Lebensweg und das Werk des Bildhauers und Villa Massimo-Preisträgers Emil Jensen vor dem Vergessen bewahrt! Trotz seines früh erkannten Talents wurde der 1888 in Tondern geborene Bildhauer Emil Rasmus Jensen kaum über Schleswig-Holstein und Hamburg hinaus bekannt. Das lag sicher an seinem rachitischen Kleinwuchs, aber auch daran, dass ein Teil seines Werks 1943 im Bombenangriff auf Hamburg zerstört wurde. Zum Glück konnten mehrere Skulpturen auf dem Kunstmarkt wiederentdeckt und erworben werden, und auch manches wichtigere Werk ist durch Photographien dokumentiert, so dass seine Lebensleistung sich durchaus beurteilen lässt: Emil Rasmus Jensen schuf ein tief beeindruckendes Werk. 

Die Geschichte der Bildhauerei in Norddeutschland


Die lebendige norddeutsche Bildhauerei der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts läßt leicht vergessen, dass diese Kunst seit ihrer Blüte in der Spätgotik und der Dürerzeit für mehrere Jahrhunderte stagnierte. Sie gelangte in Renaissance und Barock kaum über eine handwerkliche Qualität hinaus; es blieb ein Vakuum bestehen. Um fähige Lehrer zu gewinnen, kam es 1907 zur Berufung des Schweizers Johann Michael Bossard und des Wieners Richard Luksch an die Hamburger Kunstgewerbe-Schule. Aus den Klassen beider Bildhauer kamen jüngere, zukünftige Talente, so aus der Luksch-Klasse etwa Hans Martin Ruwoldt, aus der Klasse Bossard u. a. Emil Jensen und Karl Hartung. Seit den 1920er und 1930er Jahren prägten aus diesen Klassen kommende Künstler die norddeutsche Bildhauerei.

Wiederbelebung der Norddeutschen Bildhauerei


Zu den wenigen jungen Bildhauern, die nach dem ersten Weltkrieg die norddeutsche Bildhauerei wieder belebten, gehörte Emil Jensen, dessen Beitrag zu ihr es wieder zu entdecken und würdigen gilt. Er war durch den Bildhauer Heinz Weddig im Holzschnitzen ausgebildet und wurde 1922 dank seines Talents in die Bossard-Klasse der Hamburger Kunstschule aufgenommen.

Sein Lebenswerk steht den etwas älteren Zeitgenossen nahe: Georg Kolbe (geb. 1877), Karl Albiker (geb. 1878) und Richard Scheibe (geb. 1879), doch bestimmen einige seiner Figuren auch dramatisch und thematisch ausgerichtete Motivationen. Diese Arbeiten - und auch seine Aktmodelle - erscheinen riesig neben ihm. Er war durch Rachitis so behindert, dass er erst mit zwanzig Jahren zu gehen vermochte. Wie konnte er lebensgroße Figuren modellieren, deren Sockel nur wenig höher waren als er selbst? Es gehörten viel Mut und Selbstvertrauen dazu, unter solchen belastenden Konditionen Bildhauer zu werden.

Emil Jensen findet seine Form


Auch, wenn Jensens Auffassung von Bildhauerei derjenigen Georg Kolbes nahe stand, wie die Bronzefiguren von 'Nymphe' und 'Faun' für das 1930 eröffnete Deutsche Haus in Flensburg zeigen, so war er zu Beginn seiner Ausbildung Experimenten gegenüber durchaus aufgeschlossen, was seine kubistisch geschnittene Holzstatuette 'Berggeist' von 1917 verrät. Im Studium zeigte sich dann, dass ihm eine dem Klassischen folgende Form der Bildhauerei gemäßer war. Dieser konservative Charakter seiner Bildhauerei verschaffte ihm auch das Wohlwollen des Hamburger Kunsthallendirektors Gustav Pauli , der dafür sorgte, dass er 1932 ein adäquates Atelier im Ohlendorff Palais als Nachbar von Ruwoldt, Nesch, Kluth und anderen Künstlern der 'Hamburger Sezession' beziehen konnte. Jensen erfuhr 1930 Ehrungen durch Max Liebermann und Käthe Kollwitz mit Verleihung des Villa Massimo Stipendiums der preußischen Akademie der Künste in Rom und 1931 durch die Stadt Kopenhagen mit einer Kollektivausstellung im Schloss Charlottenborg.

Zwischen Rodin und den Avantgardisten


Emil Jensens konservativer Stil, der bereits in den 1920er Jahren ausgeprägt war, eckte nach 1933 nicht an; anders als manche Zeitgenossen verwahrte er sich jedoch offenbar vor Anbiederungen an 'völkische' oder 'wehrhafte' Themen der rassistischen NS-Ideologie, der zufolge er wegen seiner kleinen Körpergröße ohnehin keine Übermenschen darzustellen imstande war.

Das Urteil über Jensens Lebenswerk lässt sich nicht nur durch einen Vergleich mit dem seiner Avantgarde-Zeitgenossen (wie Brancusi, Zadkine, Laurens, Pevsner) begründen, sondern primär durch sein Verhältnis zu einer durch Auguste Rodin, aber nicht nur durch dessen Form geprägten Tradition. Rodin hat die figürliche Bildhauerei zur Deutung ihrer eher fernen Themen durch eine zeichenhaft-symbolistische Komponente seiner Kunst genutzt. Die Nachwirkung dieses ikonologisch neuen Verständnisses der Bildhauerei ist nicht nur in Frankreich zu beobachten, sondern Europaweit, in Deutschland bei Kolbe oder Albiker, in England bei Jacob Epstein, in Norwegen bei Gustav Vigeland, in Schweden bei Carl Milles.

Jensens Werk bleibt weitgehend frei von literarischen Attitüden, wenngleich unter den Themen seiner Bildwerke Schicksals-Ergebenheit, Trauer, Nachdenklichkeit dominieren, mithin - durch seine physische Einengung begründete und verständliche - emotional geprägte Motive voller Melancholie, Schmerz, Tragik, Verzweiflung. Kennzeichnend sind hierfür etwa seine Figuren 'Trauer', Demut', 'Schicksal, 'Einsam'.

Seine Figuren haben dem Betrachter immer etwas mitzuteilen, durch ihre Körpersprache, Gestik, Haltung, Physiognomie; nie gestatten sie ihm ein für den Gehalt irrelevantes bloßes Wohlgefallen der Form. In diesem Beharren auf Sinn und Motivation der Bildhauerei spürt man die tägliche Erfahrung des Künstlers, die Erfahrung seiner reduzierten Lebensbedingungen, aber auch das Fortleben einer nicht nur durch Rodin, sondern zugleich in Jugendstil und Symbolismus wurzelnden Tradition, die an der Hamburger Kunstgewerbeschule einige herausragende Repräsentanten besaß.

Ungebrochenes schöpferisches Vermögen


In den letzten Lebensjahren führte er sein Werk mit ihm vertrauten Ideen fort, fand aber auch mit Tierstatuetten eine neue, bislang wenig gewählte Thematik. Er begnügte sich nicht mit dem Erreichten, auch nicht im Bereich der Form, wie seine um 1965 entstandene 'Schwangere' mit ihren abstrahierten Volumina belegt. Als er nach der Zerstörung seines Ateliers und einem zehnjährigen Verzicht auf eine neue Arbeitsstätte 1953 in Starnberg wieder zu modellieren begann, war eine der ersten Bronze-Statuetten eine Gruppe mit dem Titel 'Verwandte Seelen helfen sich', ein Bekenntnis zu der Hilfe, die er immer wieder und nun erneut gefunden hatte, eine Hilfe, die er bis zu seinem Lebensende als Voraussetzung für sich und andere erfuhr.




0 Kommentare